Wann bin ich authentisch?

in „Rundum Leben“

Zu diesem Thema gibt es 67 Antworten

„Obermainland“ (Pseudonym)

Das Problem ist doch, dass ich um authentisch zu sein und mich entsprechend meiner eigenen Persönlichkeit zu verhalten, erst einmal mich selbst kennen und mir selbst gegenüber ehrlich sein muss. Das ist keineswegs so selbstverständlich, wie es vielleicht auf den ersten Blick scheint...Wir alle sehen uns doch gerne mal positiver oder vielleicht auch mal kritischer, als wir wirklich sind. Unsere Erinnerung neigt dazu, unser Verhalten im nachhinein so wiederzugeben und in unser Selbst zu integrieren, dass sich ein konsistentes Bild ergibt.

Ausserdem wird das Konzept stabiler, überdauernder Persönlichkeitseigenschaften nach heutigem Stand der Wissenschaft stark angezweifelt. Vielmehr geht man heute davon aus, dass unser Handeln systemisch ist, d.h. je nach Situation und Interaktionspartner variiert. Es gibt nicht wenige Menschen, die sich gegenüber ihren Mitarbeitern ganz anders geben als gegenüber der eigenen Familie. Auch im Laufe unseres Lebens verändern wir uns. Unsere Persönlichkeit ist eben nicht ein genetisch festgelegtes, statisches Gebilde sondern verändert sich durch die Summe unserer Lebenserfahrungen. Sicherlich können wir uns nicht durch ein einzelnes Seminar verändern und schon gar nicht, wenn wir dort nur oberflächliche, festgelegte Verhaltensmuster einüben. Aber selbstverständlich entwickeln wir uns im Leben weiter. Viele Menschen werden mit wachsender Lebenserfahrung z.B. selbstsicherer oder geduldiger.

Wenn man sein Verhalten ändert oder sich bewusst gegen einen spontanen Verhaltensimpuls entscheidet, weil man ein anders Verhalten für klüger, sozialer oder was auch immer hält, hat das nichts mit der Frage der Authentizität zu tun.

Authentizität bezeichnet vielmehr, dass Verhalten und Emotionalität kongruent sind, d.h., dass man das, was man tut auch in diesem Moment emotional trägt. Ein Beispiel: Ich habe mich über einen Kollegen geärgert und treffe ihn dann in der Kantine, wo er mich freundlich grüsst. Wenn ich mich nach wie vor über ihn ärgere und ihm innerlich die Pest an den Hals wünsche, aber statt das zu äußern ihn mit aufgesetzter Freundlichkeit anlächele und mit netten Worten grüße bin ich nicht authentisch. Wenn ich mich im ersten Augenblick ärgere, aber dann, weil er mich so freundlich grüsst, mir überlege, dass es sich nicht lohnt, sich unnötig aufzuregen, mich darauf hin entspanne und ihn freundlich zurück grüße, dann bin ich sehr wohl authentisch.

Diese Übereinstimmung zwischen Verhalten und emotionalem Ausdruck ist es auch, die vom Gegenüber als Authentizität wahrgenommen wird. Umso besser ich meinen emotionalen Ausdruck kontrollieren kann, umso eher kann ich mein Gegenüber diesbezüglich täuschen. Inwieweit die Täuschung gelingt, hängt aber auch stark von der Wahrnehmungsfähigkeit des Gegenübers ab. Begabte Beobachter wird man nur schwer täuschen können, da sich bestimmte körperliche Reaktionen nicht oder nur sehr begrenzt willkürlich steuern lassen (z.B. Pupillenerweiterung). Als besonders "begabte" Beobachter der Körpersprache gelten übrigens Kinder von alkohol- oder drogenabhängigen bzw. gewalttätigen Eltern mit schlechter Impulskontrolle, da diese Kinder davon abhängig sind, die emotionale Lage ihrer Eltern, die schnell umschlagen kann, jederzeit richtig zu deuten.

Schlechte bzw. ungeübte Beobachter dagegen deuten bestimmte Verhaltensweisen oft falsch. So wird z.B. häufig Unsicherheit oder Schüchternheit als Arroganz interpretiert oder viel Reden und Witze Machen als Zeichen von Sicherheit und Lockerheit, obwohl damit häufig Unsicherheit überspielt wird...

„Rhein-Hunsrück-Kreis“ (Pseudonym)

Ich halte überhaupt nichts von Menschen, die permanent ihre Individualität nach aussen tragen. Ich erlebe es immer wieder in Gruppen/Gemeinschaften, dass es mir missfällt, wenn Menschen immer nur sich selbst sehen und sich überaus wichtig nehmen im Verhältnis zu anderen (und sich insgeheim auch für kompetenter halten). Ein gewisses Maß an Demut halte ich für sehr wichtig. Denn: wir leben in einer Gemeinschaft. Sei es im Beruf, im Kiga/Schule mit den Kindern, Sportverein etc.. Menschen, die für sich immer nur das eigene Selbst sehen, sind für mich eben nicht authentisch. Für mich ist das, wenn die Leute mit anderen in Kontakt treten und in der Kommunikation immer noch bei sich selbst bleiben - heißt: bewusst Kontakt zu anderen aufnehmen und immer dabei auch die eigenen Gefühle vermitteln, aber in einer nicht verletzenden oder überheblichen Art, sondern auf Augenhöhe. Das ist für mich ein echter Mensch, vor so etwas habe ich Respekt.

„Neunkirchen-Seelscheid“ (Pseudonym)

Die Frage lässt sich lusitgerweise einfach beantworten (aus meiner Sicht): Du bist authentisch wenn du aufhörst dir und anderen genau diese Frage zu stellen "Wann bin ich authentisch" und einfach dein Ding durchziehst egal was andere dann von dir denken.

„Plettenberg“ (Pseudonym)

Rio Reiser weiss dasssssssssssss.............Ich will ich sein, anders kannich nich sein............

„Rastatt“ (Pseudonym)

@Erin, du hast mir aus der Seele gesprochen!

„Neunkirchen-Seelscheid“ (Pseudonym)

Erin: Sobald man überlegt was andere über einen denken gibt man die authentizität aber auf. Entweder es gefällt den Menschen wie du bist oder nicht, aber das ist dann deren Problem, man findet schon Menschen die einen mögen wie man ist. Wenn's den andern verletzt wie man denkt, dann sollte sich der andere fix ein dickes Fell zulegen oder sich nur noch mit Menschen unterhalten die so denken wie er selbst.

„Saalekreis“ (Pseudonym)

da geb ich Wolfschaedel recht, und peinlich ist es, wenn man vor lauter Peinlichkeit, peinlichst bemüht ist, es den anderen recht zu machen um der Peinlichkeit keinen Raum zu geben.
Einfach so bleiben, wie man ist, mit allen Ecken und Kanten.

„Rhein-Hunsrück-Kreis“ (Pseudonym)

@Wolfsschädel: mir geht es überhaupt nicht darum, es anderen recht zu machen, sondern sich in einer adäquaten Art und Weise in der Gesellschaft zu bewegen, die angefüllt mit Individualisten nicht funktioniert. Es geht mir um Respekt, Rücksichtnahme und Anstand. Dabei kann man wunderbar trotzdem bei sich selbst bleiben.

„Liestal“ (Pseudonym)

Erin, du sagtest aber, dass man demütiger sein sollte. Sozusagen, nicht über andere stellen. Das ist eine noble Geste, die jedoch von der Umwelt nicht als Wert geschätzt wird, sondern grade im Fall von Frauen eindeutig als Schwäche ausgelegt wird. (In meiner Beobachtung ist das eine typisch weibliche Eigenschaft).
Mit Authenzität hat das aber nicht viel zu tun. Authenzität ist das "zu sich" stehen, wie man tatsächlich ist.
Grade Frauen haben da ein sehr großes Problem mit, sich anzunehmen und zu sich zu stehen. Nicht, weil sie andere mit ihrem Verhalten vor den Kopf stoßen, sondern das genaue Gegenteil tun und sich dauernd komplett zurück nehmen vor Familie, Freunden, Arbeitskollegen...etc. Wenige sind so, wie sie sind, sondern folgen einem Klischee, was sie meinen erfüllen zu müssen, wenn sie erfolgreich sein wollen.
Ein einfaches Beispiel ist, wenn man sich eine alleinerziehende Mutter vorstellt. Diese Mutter wird viele Belastungen gleichzeitig tragen, damit man ihr, was vielleicht nicht einmal real passieren wird, keine Vorwürfe machen kann, eine schlechte Mutter zu sein. Viele laufen so an der Grenze zum Limit durchs Leben und verwehren sich selbst diese Authenzität, die jedem Menschen eigentlich gestattet sein sollte.

„Rhein-Hunsrück-Kreis“ (Pseudonym)

@Venusherz, da bin ich voll bei Dir. Ich muss auch Wolffschädel zustimmen insofern, dass man keinesfalls sein Ego aufgeben sollte. Man hat ja immer etwas in Hintergedanken, wenn man so Sätze schreibt. ZB. bei mir Vorgesetzte: ich habe selbst Vorgesetzte in sehr guter Erinnerung, die es geschafft haben, auch Unangenehmens in respektvoller Art und Weise in Worte zu fassen. Deshalb ist aber der Vorgesetzte nicht von seiner Entscheidung abgerückt. Wenn ich zB. in eine Straßenbahn mit Kinderwagen extra bei der ausgewiesenen Tür einsteige, und da sitzen zwei Jugendliche die mich nicht mal ansehen, geschweige denn aufstehen, dann gefällt mir sowas schlichtweg nicht. Jeder kann Dinge für die Gemeinschaft tun, ohnen dass er sich selbst aufgeben muss. Aber diesen Punkt kann man von sovielen Seiten aus betrachten, sodass es mannigfaltige Auslegungen gibt! Dein Beispiel mit der Mutter kann ich sehr gut nachvollziehen. Aber: was müsste/könnte die Mutter Deiner Meinung nach tun? Zurück nochmal zum Ausgangspunkt: ich bin nach wie vor der Auffassung, dass man grundsätzlich in der Lage sein kann, anderen Menschen die Türen aufzuhalten und dabei sogar noch zu lächeln :-) ohne dass man dabei von Selbstaufgabe sprechen müsste.
Oder anderes Beispiel: ich finde zB. dass viele Menschen sich garnicht so authentisch verhalten. Sie denken sich etwas zurecht, sind in manchem vielleicht unsicher oder haben Vorurteile und leben/verhalten sich danach, ohne der Sache auf den Grund zu gehen. Wäre es da nicht viel ergiebiger, sich zu öffnen und auf ein Gespräch mit dem Gegenüber (der ist zu dick/zu hässlich/falsches Hobby/was immer) einzulassen, und auch etwas von seinem Standpunkt in sachlicher Weise zu erläutern, als hintenrum zu lästern und sich nicht offen zu verhalten? Ich hoffe ich konnte mich einigermaßen verständlich ausdrücken.

Hab' ich da was falsch verstanden? Authentizität und gute Erziehung bzw. Höflichkeit und Anstand können doch zusammengehören?
Ich behaupte sogar, jemand, der lügt, kann authentisch sein. Das sind doch irgendwie zwei Paar Schuhe...

Authentisch ist doch, wenn ich "echt" bin, wenn man mit mir rechnen kann - im Guten wie im Schlechten, egal!
Ehrlichkeit ist nicht das Gleiche, und höfliches Benehmen - was manchmal auch Selbstüberwindung kostet - doch wieder etwas Anderes. *kopfkratz*

„Rheinisch-Bergischer Kreis“ (Pseudonym)

Authentisch bin ich, wenn ich mir und meinen innersten Auffassungen und Ansichten treu bleibe, für mich selbst, auch wenn ich damit bei meiner Umwelt vielleicht gelegentlich anecke. Authentisch bin ich, wenn ich nach einer Entscheidung sagen kann: ja, es fühlt sich richtig an für mich, ich kann in den Spiegel schauen und sehe mich, pur, unverfälscht und nicht von Aussen auf einen Weg gebracht, den ich gar nicht gehen wollte.

„Neunkirchen-Seelscheid“ (Pseudonym)

Erin: Jetzt versteh ich dich. Aber das hat in meinen Augen nichts mit dem authentisch sein zu tun. Was du ansprichst ist einfach Höflichkeit und Toleranz. Diese beiden Dinge können zwar im selben Boot wie authentizität sitzen sind jedoch nicht zwingend aufeinander angewiesen. Ich kenne eine Menge Selbstverbieger die dennoch höflich sind (mit der Toleranz siehts bei der Selbstverbiegung anders aus).

Man könnte es auch so ausdrücken: Wenn ein Mensch nicht meine Meinung teilt und er auch sonst nicht meine Kragenweite trifft (Hobbys, Kleidung usw) so ist er mir egal und wird zur breiten Masse der Menschen die mich nicht interessieren über die es aber auch nicht wert ist schlecht zu reden. Den Wert, dass ich, auch hinter ihren Rücken, schlecht über sie rede bekommen sie erst, wenn sie mich in meiner Freiheit einschränken (ich ihnen also nicht egal bin weil sie sich z.b. über mich aufregen weil ich nicht in ihr Weltbild passe).

Dennoch bin ich zur Mutter die mit dem Kinderwagen in den Bus einsteigt höflich und helfe ihr (wenn es ein alter Bus ist) zur Not auch den Kinderwagen rein oder raus zu verfrachten und dennoch ist mir diese Mutter und vor allem was sie denkt total egal.

„Rhein-Hunsrück-Kreis“ (Pseudonym)

Eine frage: bedeutet dann authentisch sein gleichzeitig rücksichtslos zu sein??

„Liestal“ (Pseudonym)

Nein, das eine hat mit dem anderen nichts zu tun.

Authentizität ist "man selbst sein".

Das andere ist "eine schlechte Kinderstube genossen haben" ;o)

„Wittmund“ (Pseudonym)

@venus Seh ich genauso, deshalb konnte ich den Ausführungen von Erin inhaltlich bisher auch nicht zustimmen.

„Rhein-Hunsrück-Kreis“ (Pseudonym)

Um. Bedeutet dass das ich egoistischer werden müsste? Darüber muss ich nachdenken...

„Liestal“ (Pseudonym)

Nein, dass bedeutet: SEI DU SELBST! Denn so bist du klasse! :-)))

„Rastatt“ (Pseudonym)

Authentisch heißt für mich, glaubhaft zu sein.
Anderen Menschen ein Halt zu sein, ein Mensch, auf den man sich verlassen kann.
Auch, dass Wort und Tat übereinstimmen. Wenn da eine Kluft ist, ist man nicht mehr authentisch.

„Liestal“ (Pseudonym)

Ich muss für andere kein Halt sein und ihnen auch keinen Verlass bieten.

Ich bin nur authentisch, wenn ich mir gegenüber "wahr" bin.

Es gibt eigentlich überhaupt kein Schema oder was man sein muss.

„Neunkirchen-Seelscheid“ (Pseudonym)

Venusherz: Doch man muss sich selbst loyal sein. Sprich seinen stil durchziehen.

„Liestal“ (Pseudonym)

Wolfsschaedel, wie würdest du sonst sich selbst gegenüber "wahr" sein beschreiben? :-)

„Liestal“ (Pseudonym)

1996 habe ich diesen Text einmal bekommen und er drückt für mich aus, was mich authentisch macht:

Bekenntnis zur Selbstachtung

Ich bin ich.

Auf der ganzen Welt gibt es niemanden, der genauso ist wie ich.
Manche Menschen gleichen mir in einiger Hinsicht, doch niemand ist ganz genauso wie ich.
Deshalb ist alles, was ich hervor bringe, völlig authentisch mein Eigenes, denn ich allein habe entschieden, dass es so ist, wie es ist.
Alles an mir gehört mir:
Mein Körper und alles, was er tut;
mein Geist und all seine Gedanken und Ideen;
meine Augen und alle Bilder, die sie schauen;
meine Gefühle, welche es auch sein mögen: Wut, Freude, Frustration, Liebe, Enttäuschung und Erregung;
mein Mund und alle Worte, die er hervor bringt: höfliche, angenehme und harte, zutreffende und unzutreffende; und alles, was ich tue, ob es sich auf andere oder auf mich selbst bezieht.
Meine Phantasien, Träume, Hoffnungen und Ängste gehören mir.
Meine Siege und Erfolge gehören mir ebenso wie meine Misserfolge und Fehler.
Weil alles an mir mir gehört, kann ich mich mit allem völlig vertraut machen; indem ich dies tue, bin ich liebevoll und freundlich allen meinen Anteilen gegenüber und kann so mit meinem ganzen Sein zu meinem eigenen Besten wirken.
Mir ist klar, dass gewisse Aspekte meiner Existenz mich verwirren und dass ich andere gar nicht kenne. Doch solange ich freundlich und liebevoll mit mir umgehe, kann ich mutig und hoffnungsvoll nach Lösungen für die Rätsel meiner Existenz suchen und nach Möglichkeiten, die mir helfen, mehr über mich selbst herauszufinden.
Wie auch immer ich aussehe und klinge, was auch immer ich sage und tue und alles, was ich in einem bestimmten Augenblick denke und fühle, all das bin ich. Es ist authentisch und bringt zum Ausdruck, wo ich mich zum betreffenden Zeitpunkt befinde.
Wenn ich später überdenke, wie ich ausgesehen und geklungen habe, was ich gesagt und getan habe, wie ich gedacht und gefühlt habe, so mag mir einiges vielleicht nachträglich als unpassend oder unangemessen erscheinen. Ich kann das, was ich als ungeeignet erkannt habe, fallen lassen, das Bewährte beibehalten und etwas Neues erfinden, das an die Stelle des Aufgegebenen tritt.
Ich kann sehen, hören, fühlen, sprechen und handeln. Ich bin in der Lage zu überleben, anderen nahe zu sein, produktiv zu sein und die Welt der Menschen und Dinge um mich herum in einem sinnvollen und geordneten Zusammenhang zu erleben.

Ich gehöre mir und kann mich deshalb auch selbst steuern.

Ich bin ich, und ich bin okay.

Virginia Satir, Familientherapeutin, USA