Philosophisches in Lebenskrisen: Das Schlechte verdrängt das Gute? Die Krähen und die Himmel.
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Rundum Leben

Erstellt von einem Mann oder einer Frau
01.03.2012
Ein sehr schöner, zum Nachdenken anregender Thread auf den ich gerne antworte:

Die "schlechten" Krähen und der gute "Himmel" - oder: Welchen Nutzen habe ich von Philosophischem in Lebenskrisen...

Bedeutet dies, dass man nicht allzuviel Elend erlebt haben darf, um das Höhere noch wahrnehmen zu können?
Bei all' dem Elend das ich bereits er.- bzw. gerade erst vor kurzem durchlebt habe, wundert, nein mehr noch: macht es mich unsagbar Dankbar und fast schon demütig, daß ich das "Höhere" überhaupt wahrnehme.

Bedeutet es, dass es schwer fällt, an die Existenz des Guten zu glauben, wenn das Schlechte Realität ist?
Gerade in den letzten Monaten, in denen "meine Realität" sehr schlecht aussah, hat mich, u. a., mein Glaube an die Existenz des "Guten" am Leben erhalten.

Bedeutet es, dass man, wenn man im Elend versinkt, man schlicht vergisst oder verdrängt nach Höherem zu streben?
Ich kann für mich nur sagen:
Je mehr Elend ich in meinem bisherigen Leben erlebt habe, hat mich mein Ehrgeiz nie verlassen und ich habe immer wieder einen "höheren Punkt" erreicht.

Bedeutet es, dass das "Himmlische" immer etwas realitätsfernes sein muß?
Das beantworte ich aus vollster Überzeugung mit einem NEIN.

Die "schlechten Krähen" sind meine persönlichen Schicksalsschläge, ich habe sie (momentan) verjagt...

Der "gute Himmel" sind mein Glaube und die Liebe meiner Familie, die mich am Leben erhalten!

So ist es auf jeden Fall MEINE überzeugte Meinung, bzw. das Ergebnis meiner vor kurzem erlebten Lebenskrise!
Erstellt von einem Mann oder einer Frau
01.03.2012
@elleniah das würde ja bedeuten, in dem Moment, indem ich etwas hinterfrage, laufe ich Gefahr, es kaputt zu machen. Wouw.....
Erstellt von einem Mann oder einer Frau
29.02.2012
Das verstehe ich nicht. Warum nehme ich auseinander, wenn ich denke?

Ich habe mich mal ein ganzes Semester mit "Was heißt Denken?" vom Heidegger beschäftigt. Da waren die zentralen Gedanken:
"Das Bedenklichste zeigt sich in unserer bedenklichen Zeit darin, dass wir noch nicht denken".
“Wir gelangen in das, was Denken heißt, wenn wir selber denken. Damit ein solcher Versuch glückt, müssen wir bereit sein, das Denken zu lernen.”

Er zumindest geht nicht davon aus, daß wir beim Denken zerstören. Zumindest wenn wir nicht aus dem Blickwinkel der Technik denken.
Erstellt von einem Mann oder einer Frau
29.02.2012
Ich glaube, der Unterschied liegt in der Intention. Einmal zerstört die Handlung des Denkens selbst, muß jedoch nicht von einer Zerstörungsabsicht begleitet werden, bei den Krähen deutet sich an, das die Zerstörung motiviert geschieht.

Will ich etwas opfern....
Oder opfere ich, weil ich nicht anders kann, weil Denken zu meinem "Ich" dazugehört. Oder ist das eigene Bewußtsein und differenzierte kognitive Denken nicht eher ein sehr luxeriöser, aber unnötiger Prozess, mit dem wir das Höhere in der Gefahr es falsch zu erfassen in Frage stellen....
"Denken heißt zerstören. Der Denkvorgang opfert den Gedanken, denn Denken heißt auseinandernehmen."

Fernando Pessoa, Das Buch der Unruhe

Könnte man in dieser Richtung weiterdenken? Oder steckt das nicht auch darin?
Erstellt von einem Mann oder einer Frau
29.02.2012
Auch definitiv eine interessante Deutung und ein schöner Satz, denn man auch mal jemandem im Berufsleben um die Ohren schleudern kann.

"Die Lösung des Problems liegt nicht in der Lösung, sondern in deiner Nicht-Existenz".....Moment...so ähnlich.... ;)
Erstellt von einem Mann oder einer Frau
29.02.2012
ich denke, gerade in "philosophischen" fragen wie dieser gibt es ja keine objektiv "richtige" antwort (es gibt ja auch keine objektive realität) auf die eingangsfrage. eher interpretationen, die dir als inspiration zu deiner ganz persönlichen antwort dienen können.

ohne genaue hintergründe zu autor und zitat zu kennen, würde ich als eine interpretation es so sehen: die lösung eines problems liegt nicht in der lösung (these-antithese), sondern in der nicht-existenz (synthese). es geht also darum, über das problem hinauszuwachsen (himmel), dann hat man es nicht mehr (krähe).
Erstellt von einem Mann oder einer Frau
29.02.2012
also irgendwie löst das bei mir ein Bild aus: es gibt Pessimisten, die werden nie den Blickwinkel eines Optimisten einnehmen, und Optimisten, denen es umgekehrt genauso geht. Das ist einfach so. Das klingt für andere jetzt vielleicht wie "Themaverfehlung" aber in mir hat dieses Zitat genau dieses Bild ausgelöst.
Erstellt von einem Mann oder einer Frau
29.02.2012
@rambla: wirklich schön beschrieben.
und das auch noch um die uhrzeit - bin schwer beeindruckt! =))
Erstellt von einem Mann oder einer Frau
29.02.2012
Wie seht ihr das? Wie habt ihr das bisher in eurem Leben, speziell in Lebenskrisen erlebt?
Gab es da "keinen Himmel" mehr, oder war er schlicht weit weg?"

~~~~~~~~

Will mal versuchen, deine Fragen aus meiner sehr persönlichen Sicht zu beantworten.

"Bedeutet dies, dass man nicht allzuviel Elend erlebt haben darf, um das Höhere noch wahrnehmen zu können?"

-> Ich habe verschiedentlich schon gesagt, ich hätte die Hölle mehrfach und mit verbundenen Augen barfuß durchquert. Natürlich ein eitler Ausspruch, der zum Ausdruck bringen sollte, daß ein Mensch imstande ist, entsetzliche Dinge zu erleben, zu überleben - auch "den Himmel zu verlieren" - und ihn irgendwann doch wahrzunehmen. Schlußfolgerung für mich daraus: nicht daß man zu viel Elend erlebt hat, sondern daß man eine Zeit lang nicht glaubt, den Blick jemals wieder "nach oben" richten zu können ist die eigentliche Gefahr.


"Bedeutet es, dass es schwer fällt, an die Existenz des Guten zu glauben, wenn das Schlechte Realität ist?"

Das "Schlechte" ist überhaupt nur wahrnehmbar, wenn dem das "Gute" als Polarität gegenübersteht. Es mag Zeiten geben, die so niederdrückend sind, daß es schwerfällt zu glauben, es existierte so etwas wie Licht, wie Freude, wie Wärme, wie Menschlichkeit. Allein die Fähigkeit, die scheinbare Abwesenheit alles dessen, was wir als "gut" empfinden, wahrzunehmen, ist ein Beweis, daß es existieren muß. Dinge, die wir nicht kennen, vermissen wir nicht.


"Bedeutet es, dass man, wenn man im Elend versinkt, man schlicht vergisst oder verdrängt nach Höherem zu streben?"

So etwas kommt vor. Und es fühlt sich entsetzlich an, vor allem weil man in solchen Zuständen nicht glaubt, daß es das berühmte "Licht am Ende des Tunnels" wirklich geben könnte. Kennen viele, und heute im Rückblick sehe ich solche Krisen nicht mehr nur negativ. Sie sind wie der kälteste Tag eines Winters, bevor Tauwetter einsetzt, sie sind wie der Höhepunkt einer Krankheit, bevor das Fieber fällt, sie sind wie der Schatten auf einer Seele, der verhindern will, daß die verborgenen alten Schmerzen nach oben kommen.

Oder weniger lyrisch ausgedrückt: würden wir eine Talsohle nicht kennen, gäb's auch keinen Grund, auf Gipfel zu steigen, ne?



"Bedeutet es, dass das "Himmlische" immer etwas realitätsfernes sein muß?"

Nein, definitiv nicht. Ich bin nicht gläubig und spirituelle Ambitionen habe ich auch keine mehr. Dennoch würde ich das "Himmlische" mit einem Gefühl innerer Zufriedenheit, Aussöhnung, Loslösung von Haß und Rachegefühlen, dem Loslassen von alten Verletzungen übersetzen.


Und nein, realitätsfern ist das ganz und gar nicht, nur halt nicht ganz einfach zu erreichen.
hallo, ich habe das zitat nich so ganz verstanden, möchte aber dennoch etwas dazu beitragen.

vor 14 jahren bin ich schwer erkrankt. monate ohne hoffnung zu leben, war eine der schlimmsten erfahrungen, die ich bisher in meinem leben gemacht habe.
was mir ein wenig geholfen hat, war ein kleines interview mit einem krankenhauspfarrer für ein radioprogramm.

als es mir damals wieder etwas besser ging, dachte ich oft an das kinderlied? "ein hase saß im tiefen tal, dideldu dideldei ...

als ich in diesem tal saß wusste ich nicht, dass ich in diesem tal saß. ich war gefangen in meinem schicksal. ich sah nur mich und mein elend und aus dieser perspektive meine umwelt, die gesellschaft und die welt überhaupt.
als ich in diesem tal saß konnte ich nichts anderes sehen. das war einfach nicht möglich. dies war meine realität.
sehen konnte ich erst als ich einen hügel zur mitte hin erklommen habe. ich sah das tal, die anderen hügel, ihre kuppen, den himmel.
wie bin ich dahin gekommen? ich bin einfach gegangen.
meine realität hat sich verändert, es ging bergauf. und erst dann konnte ich sehen, hatte ich einen überblick.

lebens- und sinnkrisen kenne ich gut. vor geraumer zeit haben sich meine ziele, mein wertesystem, der sinn meines lebens in luft aufgelöst.
ohne werte, ziele, wünsche ... zu leben scheint mir unmöglich.
wenn man alles negiert, alle relativiert in bezug auf das unumgängliche, den tod dann, so denke ich, wird man schier verrückt, kann man nicht mehr leben, ist man verloren.

ich denke wir brauchen so etwas wie ziele, wünsche, einen glauben ... etwas, worauf hin sich unser leben ausrichtet.

ich gehe, schritt für schritt ... noch, wieder und ohne zu wissen wohin ich dieser weg dieses mal führen wird.
@Elli, deine Fragen betreffen die Resilienz eines jeden einzelnen. D.h., dass es sicherlich Menschen gibt, die niederschmetternde Ereignisse in ihrem Leben zur Resignation führen, eben zum "Vergessen" des Besseren, Höheren. Genauso gibt es aber die "Stehaufmännchen", die in sich einen stabilen Kern besitzen, der sie dazu befähigt, immer wieder das Gute und Positive im Leben wahrzunehmen, und die sich aus Strohhälmchen eine Strickleiter zu einem erträglicheren, wünschenswerten Leben basteln.
Das liegt also in der Natur eines jeden selbst begründet, ob er eine kleine Wahrheit der großen ganzen Wahrheit gleichsetzt, oder ob er immer noch sieht, dass es hinter seiner kleinen Welt eine Tür zu einem neuen Leben gibt.
Für den einen ist es der Glaube an ein göttliches Wesen, das Wege leitet und gerecht ist, für den anderen die Annahme, dass etwas Schlechtes immer durch etwas Gutes ausgeglichen wird, und der Dritte wiederum sieht grundsätzlich immer nach vorne, als geborener Optimist.
Ich für meinen Teil hoffe immer auf gute Wendungen, auch wenn ich oft genug seelisch und materiell sehr weit unten war - oder bin. Ein Freund hat mir einmal gesagt: "Deine Füße sind dazu da, wieder aufzustehen." Also sehe ich den oder die Himmel auch, wenn es einmal regnet...
also ich denke Schlechtes wie Gutes sind die zwei Seiten einer Medaille, ich kann das eine ohne das andere weder sehen noch wahrnehmen...
die Krähen stehen für mich in deinem Zitat als die Unglücksbringer, da reicht dann schon eine um alles zu zerstören...aber das liegt eben an ihrem begrenzten Horizont, sie kenne eben nicht die Himmel, das Gute. Für die Krähen ist diese Aussage also richtig..nur wir sind "dem Himmel" *g sei dank keine Krähen...d.h. wir kennen beide Seiten und können unser Verhalten je nach Notwendigkeit modifizieren...
meine 5ct
Erstellt von einem Mann oder einer Frau
28.02.2012
Deine Antwort ging auf jeden Fall in die richtige Richtung. :)
Erstellt von einem Mann oder einer Frau
28.02.2012
Hallo Elle,

interessante Fragen stellst du da ein. Ich glaube im Original Kafka Zitat ist von "die Himmel" die Rede.
Paradox finde ich die beiden Zitate keineswegs.

Die Krähen sind der Überzeugung, dass eine einzige die Himmel zerstören kann, aber für die Himmel existieren Krähen gar nicht.
Nur im Glauben der Krähen wird der Himmel zerstört.

Die Fragen die sich für dich ableiten kann ich insofern nicht nachvollziehen, mag aber trotzdem antworten.

Ich bin durch viele dunkle Täler gegangen in meinem Leben und habe dabei gelernt, dass alles ein Ausdruck der Himmel ist. Schlechtes wie Gutes gehören zusammen. Wenn man das annehmen kann, relativiert sich das Leid.
Es gibt ein wunderbares Buch "Leiden hängt von der Entscheidung ab".

"Mit diesem Buch bekomme ich die große Chance zu sagen: Trauma ist kein ewiges Stigma, das aussichtslos und chancenlos an einem haftet, wie etwas, das sich nie mehr ändert oder nie ändern lässt. Sondern es ist möglich, sich zu lösen, zu wachsen und vor allem frei zu sein. Nichts noch so Schlimmes kann einem Menschen für immer und ewig die eigene Würde und Kraft nehmen, sich zu befreien und frei zu leben. Alle, die unter Gewalt und ihren Folgen bzw. unter einer schweren Krankheit oder Schicksalsschlägen zu leiden haben, sollten nie vergessen: Freiheit ist wundervoll!" - Pauline C. Frei

Danke für die Anregung.
Erstellt von einem Mann oder einer Frau
28.02.2012
Hi zusammen,

mir ist gerade der folgende Aphorismus in die Hände gefallen:

"Die Krähen behaupten, eine einzige Krähe könnte den Himmel zerstören. Das ist zweifellos, beweist aber nichts gegen den Himmel, denn Himmel bedeutet eben: Unmöglichkeit von Krähen." [Franz Kafka]

Das deute ich in Kurzform so:

Das Niedere/Elende/Schlechte, behauptet das Gute/Höhere zerstören zu können. Das ist möglich, wiederspricht aber nicht der Existenz des Höheren, denn Höheres bedeutet eben: Das Niedere\Elende existiert nicht.

Die nackte Realität kann das Höhere jederzeit zerstören. Dazu muss die Krähe nur krächzen: "Himmel, ihr existiert gar nicht!" Für die Krähe ist der Traum damit zerstört.[Zitat Biblioforum.de]

Irgendwie paradox.....

Aus psychologischer Sicht leiten sich daraus für mich folgende Fragen ab:

Bedeutet dies, dass man nicht allzuviel Elend erlebt haben darf, um das Höhere noch wahrnehmen zu können?
Bedeutet es, dass es schwer fällt, an die Existenz des Guten zu glauben, wenn das Schlechte Realität ist?
Bedeutet es, dass man, wenn man im Elend versinkt, man schlicht vergisst oder verdrängt nach Höherem zu streben?
Bedeutet es, dass das "Himmlische" immer etwas realitätsfernes sein muß?

Wie seht ihr das? Wie habt ihr das bisher in eurem Leben, speziell in Lebenskrisen erlebt?
Gab es da "keinen Himmel" mehr, oder war er schlicht weit weg?