Was denkt ihr über die deutsche Presse?
Forum für Dicke, Mollige und Übergewichtige

Politik und Weltgeschehen

Erstellt von einem Mann oder einer Frau
01.01.2019
Puh..., schwierige, weil komplexe Frage, die eine ziemlich auführliche Antwort bedarf - selbst, wenn man nur die wichtigsten Aspekte beleuchten will.

Die Relotius-Affäre beim Spiegel als Einzelfall betrachtet, werte ich nicht so hoch, da der Mann ein Hochstapler war und seine Storys nicht politisch motiviert oder gar beauftragt gefälscht hat, sondern mehr oder minder zum eigenen beruflichen Fortkommen. Die Außenwirkung ist in Zeiten des schwindenden Vertrauens in die Medien und Rechtspopulisten, die dies instrumentalisieren, jedoch überaus problematisch.

Viel deutlicher werden Probleme des Journalismus dadurch aufgezeigt, wie Relotius sich so durchschwindeln konnte. Die Jagd nach journalistischen Preisen und Ehrungen, ist letztendlich die Jagd nach hohen Einschaltquoten, Auflagen und Klickzahlen. Digitalisierung, samt Kostenlosmentalität, erzeugen ökonomischen Druck, was die Qualität merklich mindert. Aufwändige Recherchen und teurer Investigativjournalismus weichen dem schnellen günstigen Content - zunehmend in Form von Kommentaren, also Meinungen statt Berichterstattung. Festangestellte werden abgebaut, zunehmend freie Journalisten beschäftigt und das Volontariat kompensiert insbesondere in Online-Redaktionen oftmals den Stellenabbau. Dazu kommt, dass auch oft Meldungen aus Nachrichtenagenturen übernommen werden und nicht zuletzt durch die Flut der Meldungen nicht mehr nachrecherchiert werden kann. So schleichen sich Fehler ein, mitunter auch unerkanntes Guirilla-Marketing oder irgendeine gezielte Meinungsmache von sogenannten Think Tanks, die vornehmlich Lobbyarbeit betreiben. Die Grenze zur Werbung wird deutlich verschoben, was gänzlich den traditionellen ethischen Grundsätzen des Journalismus widerspricht - Affiliate Links, Sposored Content, Native Advertising usw. sind mittlerweile fast schon normal.
An dieser Entwicklung trägt das Nutzungsverhalten der Konsumenten jedoch entscheidend bei. Wer für Jounaliusmus nicht zahlen will (manche können natürlich auch nicht) muss sich nicht wundern, dass er schlechten Journalismus bekommt.

Sofern man ökonomische Zwänge, bzw. kapitalistische Marktmechanismen nicht als solche betrachtet, sehe ich zumindest vordergründig keine Einschränkung der Pressefreiheit oder Eingriffe in die journalistische Freiheit. Das mediale politische Spektrum reicht von ganz links bis ganz rechts und jeder der will und das Geld hat, kann problemlos einen Verlag gründen und im Rahmen des geltenden Rechts veröffentlichen was immer er will.
Allerdings steckt auch hier der Teufel im Detail. Denn die Meinung wird in Deutschland durch Leitmedien geprägt, die überwiegend im Besitz von wohlhabenden Familien sind und auch Parteien halten Anteile an Medien. Auch die Interessensverstrickungen vieler Journalisten sind zwar formal legal, aber auch fatal - wie z.B. Verleger, wie der Herr Joffe (ZEIT), der Mitglied der Antlantikbrücke (und anderer Lobbygruppen) ist oder auch der Springer-Verlag, der sich in seinen Grundsäzten zur USA und Israel bekennt. Egal, ob am Ende fundierter Journalismus rauskommt, allein die Außenwirkung ist fatal. Richtig bizarr wird es bei der Familie Burda, die zum Machterhalt und zum Steuersparen eine Stiftung gegründet hat, die Studien zu Gesellschaftsfragen erstellt, über Lobbyismus Einfluss auf die Politik nimmt und dann medial in ihrem Sinne berichtet. So hat Burda z.B. massiv Einfluss auf die Agenda 2010 genommen.
Man darf also durchaus fragen, ob dieses Knäuel an Interressen, Verstrickungen und Besitzverhältnissen auch ein Grund dafür ist, dass Neoliberalismus in den Leitmedien allenfalls in Teilbereichen hinterfragt wird, aber selten der Neoliberalismus selbst oder gar der Kapitalismus (das war mal anders). Oder bedienen die Medien nur das Interesse ihrer Zielgruppe, die das so will? Oder will die Zielgruppe das so, weil die Ausrichtung der Leitmedien deren Meinung ja beeinflusst? Es ist, wie gesagt, ein komplexes Thema.

Ebenfalls wichtig, aber kaum beachtet: Soziale Schichtundurchlässigkeit führt dazu, das in gesellschaftlich relevanten Bereichen weitgehend Menschen aus Akademikerfamilien oder zumindest aus dem Bildungsbürgertum walten. Diese sind auch das, was man in der Soziologie Gatekeeper nennt, also Leute, die über das berufliche Fortkommen anderer bestimmen und tendenziell gern ihresgleichen um sich haben. Das gilt auch für den Journalismus. Die Zahl der Journalisten aus Unterschicht- oder Arbeiterfamilien ist gering. So weit mir bekannt, gab es aus diesen Schichten auch noch keinen einzigen Chefredakteur bei den Leitmedien. Dass Menschen aus gehobenen Schichten Dinge anders betrachten, einordnen und bewerten und auch die sozialen Entwicklungen aufgrund ihrer Herkunft und Position anders bewerten als Menschen aus unteren Schichten, darf man nicht im Einzelfall, aber durchaus in der Gesamtheit, als unbesteitbar bezeichnen. Auch dazu gibt es Studien.

Ich könnte noch weitermachen, will hier aber der Lesbarkeit wegen mal zu meinem Fazit kommen:

Formal verstößt der Journalismus der meisten Medien eher selten gegen Pressekodex, Presserecht oder gegen sonstwie geltendes Recht. Formal ist die mediale politische Bandbreite und somit die Meinungsfreiheit gegeben. Formal greifen weder Staat noch sonstige höhere Mächte direkt in die Berichterstattung ein und formal ist jeder Journalist in erster Linie der journalistischen Ethik verplichtet. Real sieht das jedoch nicht ganz so aus und dies wird auch gern von Populisten missbraucht, indem sie Teilaspekte herausgreifen und z.B. Springer und seine Grundsätze auf andere Medien ausweiten, die dann allesamt einer Agenda folgen oder angeblich alle Journalisten in Lobbygruppen verstrickt sind oder alle Journalisten aus dem (links-grün versifften) Elfenbeinturm berichten.

Allerdings sei gesagt, dass ich all diese Informationen aus den Medien habe - einige übrigens von den Öffentlich Rechtlichen, die noch immer (wenn auch zu unmöglichen Sendezeiten) über Dinge berichten, die bei den Privaten kaum oder keine Erwähnung finden.
Erstellt von einem Mann oder einer Frau
01.01.2019
Mir ist durch die Spiegelaffäre und das Lesen von ausländischen Zeitungen wieder so richtig bewusst geworden, wie wichtig seriöse journalistische Arbeit ist.

Wie schätzt ihr die Presselandschaft in Deutschland ein? Was haltet ihr von der Berichterstattung in den Medien?

Ich freue mich auf eure Beiträge!

Ich wünsche allen ein schönes, glückliches Jahr 2019!