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Von was für Jobs redet ihr hier eigentlich? Meine Erfahrung ist da inzwischen ganz anders. Viele Firmen sind gar nicht mehr scharf auf die altbackene Bewerbungsmappe.
In Zeiten wie diesen, wo viele Menschen auch mit Migrationshintergrund gar nicht mit den antiken deutschen Bewerbungsprozessen vertraut sind, wird es immer unwichtiger, was in uralten Zeugnissen steht und ob der Lebenslauf korrekt formatiert wurde.
Am Ende entscheidet sich in der Praxis ob jemand taugt. Und da fast alle "normalen" Jobs heutzutage über Befristung gehen (zumindestens in den ersten 2 Jahren, ist das Risiko für die Firmen auch überschaubar. Spätestens nach der Probezeit wird man einen als nicht tauglich bewerteten Mitarbeiter auch wieder los.
In meiner Firma bewirbt man sich über ein Internetportal stichwortartig. Offene Fragen werden bei Interesse in einem Telefoninterview geklärt.
Meinen Wiedereinstieg nach Alg2 ins Arbeitsleben begann mit einer kurzen E-Mail. In die fein säuberlich zusammengestellte Bewerbungsmappe, die ich dann zum ersten Gespräch mitgebracht habe, hat niemand reingeschaut.
Eventuell ist das paar Treppchen höher in der beruflichen Karriere etwas anders. Das kann ich nicht beurteilen.
Zeugnisse und solcher Kram, sind doch allenfalls noch bei Schulabgängern interessant. Wenn sich Menschen über 50 irgendwo bewerben, ist doch viel eher von Interesse, welche Berufserfahrungen vorhanden sind. Wen interessiert noch ein Zeugnis, welches vor 35 Jahren mal erworben wurde. Wenn überhaupt, sind hier doch höchstens Arbeitszeugnisse wichtig.
Und das Langzeitarbeitslose häufig sehr brüchige Lebensläufe haben, ist vielen Personalern doch sicher bekannt. Aber das viele Branchen inzwischen händeringend Mitarbeiter suchen, hört man auch immer mal wieder, dass man einfach Menschen mal ne Chance gibt, sich zu beweisen. Letztens hab ich ne Reportage gesehen, dass besonders im Handwerk teilweise recht unkonventionell eingestellt wird. Einfach weil auf normalen Weg keine Mitarbeiter mehr zu finden sind.
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„Lörrach“ (Pseudonym)
Das was Seaangel, Rudi und andere hier schreiben, kann ich nur unterstreichen.
Wir unterscheiden im Bewerbungsprozess zwischen einfacher und gehobener Tätigkeit.
Eine Ihk- geprüfte Qualitätsfachkraft oder ein Datenschutzbeauftragter durchläuft den einfachen Bewerbungsprozess.
Anschreiben per Mail, digitale Bewerbungsmappe ebenso oder wenn die Dateie zu gr. ist über Download Link.
Handgeschriebener Lebenslauf eingescannt, das ist eine persönliche Forderung von mir. Ausbildungen, Abschlüsse die älter als 5 Jahre sind und keine durchgängige Praxis aufweisen, werden bei der Bewerbung ignoriert, bei der Einstufung haben sie Relevanz.
Bewerber werden dann zum Fachgespräch geladen, da geht es zu 90% um eine unangekündigte Prüfungssituation unter Stress.
Bewerber in der engeren Wahl werden online überprüft. Das macht eine externe Firma. Mittlerweile fallen 20% der Bewerber an dieser Hürde.
Für gehobene Jobs, wird zusätzlich die Echtheit der Abschlüsse geprüft.
Weiters benötigen sie eine Projektmappe, über ihre bisherige Arbeit.
Dann werden sie bezahlt zu einem Assessment Center eingeladen, das externe Spezialisten durchführen.
Es kommt vor, dass zuviele Bewerber qualifizieren, dann werden die unterlegenen Bewerber an Kooperationparter vermittelt. Dabei ist kein weiterer Bewerbungsprozess nötig, wenn der Bewerber die Daten freigibt.
Es gibt auch Fälle, wo wir sie dann trotzdem anstellen und sofort verleihen.
Diese Partnerfirmen stehen sehr eng zu uns und es gibt auch Kapitalverflechtungen.
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„Böblingen“ (Pseudonym)
Das ist doch das Dilema bei den Langarbeitslosen .
Es ist egal was oder wie stark sie sich weiterbilden.
Die Stellen werden an andere vergeben.
Die Bevölkerung sieht einen als motivierten Urlauber auf Staatskosten.
Das Jobcenter fordert alles, fördert gering und meistens falsch.
Der Arbeitgeber will Langarbeitslose nicht egal wie er sich bemüht oder qualifiziert ist.
Als Langarbeitsloser kann man nur noch aus dem Keller springen.
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„Schifferstadt“ (Pseudonym)
Ausbildungen, Abschlüsse die älter als 5 Jahre sind und keine durchgängige Praxis aufweisen, werden bei der Bewerbung ignoriert, bei der Einstufung haben sie Relevanz.
Interessant, das wußte ich auch noch nicht. Es wird wahrscheinlich überall etwas anders gehandhabt. Trotzdem. *grübel*
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„Lörrach“ (Pseudonym)
Naja, auch Wissen hat ein Ablaufdatum.
Andere Firmen lehnen diese Bewerber ab.
Bei uns können Sie ja zeigen, was noch in Ihnen steckt. Sie haben nur keinen Vorteil. Werden sie genommen, bekommen sie 10% mehr als der Autodidakt.
Das trifft für dieses Bsp. zu.
#Software Developer C - Sharp, .net
#App Programmierer Xamarin
Da kann sich jeder melden, der glaubhaft machen kann, dass er es kann.
Quasi das US Open in der Software-Entwicklung.
Mit einem aktuellen Studium musst du nicht durch die Qualifikation, das Turnier musst du trotzdem gewinnen.
Das sind aber keine aktuellen Jobangebote, keine Bewerbungen schicken.
Mache derzeit auf Datenschutz :-)
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„Schifferstadt“ (Pseudonym)
Bin nicht auf Jobsuche. :P Ist trotzdem interessant. Man weiß nie, wann man solches Wissen dann mal brauchen kann.
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@kontra
Und nun mal Butter bei de Fische.... wieviele Langzeitarbeitslose hast du in den letzten Monaten eingestellt?
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„Norden“ (Pseudonym)
Ausbildungen, Abschlüsse die älter als 5 Jahre sind und keine durchgängige Praxis aufweisen, werden bei der Bewerbung ignoriert, bei der Einstufung haben sie Relevanz.
Interessant, das wußte ich auch noch nicht. Es wird wahrscheinlich überall etwas anders gehandhabt. Trotzdem. *grübel*
Nein, das wird nicht überall anders gehandhabt. Diese Regelung ist überall gültig. Ich habe eine ehemalige Kollegin, die im Grunde morgen wieder in den Job einsteigen und sich binnen von 3 Wochen einarbeiten könnte, die aber nach zwei vollen Ausbildungen und 30 Jahren Berufspraxis als "ungelernt" gilt und u.a. deswegen in ihrem Bereich keine Weiterbildung bekommt.
Das ist absurd, was da teilweise läuft.
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„Ludwigsburg“ (Pseudonym)
Ich bin ganz ehrlich und kann sagen, das ich froh darüber bin, *nur* eine Bustrulla zu sein.
Klar, ich verdiene nicht allzu viel,
wobei ich in D in diesem hochverantungsvollen Job teilweise nur knapp über dem Mindestlohn liegen würde, wenn ich denn zurück käme, habe es hier oben im Norden aber recht gut getroffen und kann mich nicht beklagen, vom geringen Stressfaktor, speziell hier auf der Insel, ganz zu schweigen.
Der Stress, den man in der Stadt hat, war übrigens der Grund, weshalb ich D vor nun knapp 10 Jahren verlassen habe.
Ich selber bin, nach kurzer Arbeitslosigkeit, im Jahr 1998 durch ein Bewerbungstraining dazu gekommen, den Busschein zu machen und habe es nie bereut.
Ich bin sehr gespannt, wohin die Reise in D gehen wird.
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„Geretsried“ (Pseudonym)
Die sollten H4 abschaffen und dafür das bedingungslose Grundeinkommen einführen. Schaut euch mal die Ausführungen von Richard David Precht dazu an. Die gravierenden Veränderungen in den nächsten zwanzig Jahren am Arbeitsmarkt lassen wenig Alternativen zu.
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„Schifferstadt“ (Pseudonym)
Ich habe eine ehemalige Kollegin, die im Grunde morgen wieder in den Job einsteigen und sich binnen von 3 Wochen einarbeiten könnte, die aber nach zwei vollen Ausbildungen und 30 Jahren Berufspraxis als "ungelernt" gilt
Das ist so bescheuert, dass ich gerade echt Probleme habe zu glauben, dass man das wirklich so macht. Es ist doch was anderes, wenn der Ingenieur krankheitsbedingt oder die Buchhalterin kinderbedingt 5 Jahre aus dem Job raus sind, oder wenn jemand nach der Hauptschule nie eine Ausbildung gemacht hat. Wenn das wirklich so gelebt wird, ist das wirklich absurd.
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„Norden“ (Pseudonym)
Das ist so bescheuert, dass ich gerade echt Probleme habe zu haben
Wenn es nicht so wäre würde ich das nicht hier schreiben.
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„Waldkirch“ (Pseudonym)
In Deutschland zählt immer noch "das Papier" mehr, als die Erfahrungen in der Praxis.
Und am besten einen Lebenslauf so glatt ist wie der Lotuseffekt ;-)
Da sind wir immer noch sehr "preußisch", schmunzel.
In anderen Länder gilt es nicht als jobkillender Markel, mal "auszusteigen" und was anderes zu machen. Da gilt es eher als ein Zeichen von Flexibilität und der Erfahrungsreichtum aus verschiedenen Branchen wird eher geschätzt.
Außerdem empfinde ich viele von diesen "Streßtests" in Bewerbungsverfahren als affig. Sie sind meist völlig an der Realität vorbei.
Soziale Kompetenzen zeigen sich eher im Alltag und nicht in solchen Tests, in denen Bewerber nur nervös und angespannt sind und die Ellebogen ausfahren, um beim Wettbewerb um den Job zu "gewinnen.
Zumal .... sind wir doch mal ehrlich. .
Jeder Chef/ Personaler wählt auch einfach nur nach seinem persönlichen "Raster" aus, immer geprägt von eigenen "Wertesystemen" und Sympatien und Antipatien.
Reine nur fachliche Kriterien sind es selten.
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Dagmar, da geb ich dir vollkommen Recht.
Der Thread hier, hat sich in eine sehr seltsame Richtung entwickelt. Die Dinge, die hier zu Bewerbungsverfahren etc. beschrieben wurden, haben mit dem Thema "Armut - Alg2 " noch nichtmal im Ansatz etwas zu tun.
Mag sein, dass es für irgendwen interessant ist, nützt aber einem Alg2-Bezieher der ggf. eh schon arg verunsichert ist, ob er noch irgendwo bestehen kann, gar nichts.
So ein Unsinn...wenn ich schon lese: Ich hab die Anforderung, dass der Lebenslauf handgeschrieben ist. Aha. Und wer liefert die Garantie mit, dass der Bewerber das Dokument wirklich selber geschrieben hat?
Wie sollen nicht deutsche Muttersprachler hier bestehen?
Aber für die hier beschrieben Jobs, sucht der Herr Kontra ja sicher nicht unter den Langzeitarbeitslosen, die sicher eher selten die hier beschriebenen Abschlüsse und Qualifikationen haben.
Darum verstehe ich nicht, warum das alles hier in diesem Thread so ausführlich beschrieben wird. Hat für mich auch ziemlich viel mit Selbstdarstellung zu tun.
Mal sehen, ob ich auf meine entsprechende Frage wieviele Langzeitarbeitslose er bereits in Jobs gebracht hat, noch eine Antwort erhalte.
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„Ronnenberg“ (Pseudonym)
@Steffi & dagmar -Daumen hoch!
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„Lörrach“ (Pseudonym)
Bevor mir Steffi hyperventiliert. Seit 2016 gibt's die offene Bewerbung ohne Mindestqualfikation, wir konnte bisher 2 Langzeitarbeitslose als KollegInnen in der Software-Entwicklung gewinnen. Beide sind linuxlastig und autodidakt und werden weiter entwickelt.
Um den Bogen zu schließen. Wir suchen jetzt durch die Verlagerung des Geschäftsfelds Datenschutzbeauftragte mit Zertifikat. Eine Qualifikation, die mittels Bildungsgutschein vom JC erworben werden kann. Der Bedarf ist am Markt derzeit nicht zu decken. Das ist ein Hinweis für ALG2 Betroffene.Man hätte da seitens des JC bereits im Vorfeld reagieren sollen.
Die Firmen brauchen zwar erst ab 250 Mitarbeiter diese Position, es hat sich aber rausgestellt, das kleiner Firmen diese Position freiwillig besetzen wollen. Wir sind nur EU DSGVO Consultant und werden von unseren Kunden angefragt, wo man derzeit solche Leute bekommt.
Dieser enorme Nachfragedruck wird bis Sommer nachlassen, aber dieser neue Beruf hat Zukunft.
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Jetzt hab ich mir doch glatt mal die Mühe gemacht und in der Jobsuche nach Datenschutzbeauftragten gesucht.
Ja, stimmt, diese Offerten gibt es. Aber die Stellenausschreibungen, welche ich geöffnet habe, waren weitab von... es reicht ein Zertifikat, welches man über das JC erwerben kann. (ich hab bei Stepstone geschaut).
Nur mal ein Beispiel zu den gewünschten Anforderungen:
Ihre Fähigkeiten und Ihr Persönlichkeitsprofil
Idealerweise abgeschlossenes Studium der Wirtschafts-, Rechtswissenschaften oder Wirtschaftsinformatik
Zertifizierung zur/zum Datenschutzbeauftragten wünschenswert
Fundierte Kenntnisse über Inhalt und Anwendung der EU-Datenschutz-Grundverordnung, des BDSG sowie datenschutzrelevanter Rechtsvorschriften im SGB
Einschlägige Berufserfahrung im Datenschutz oder verwandten Gebieten im EDV-Bereich
Analytische und präzise Denk- und Arbeitsweise sowie die Fähigkeit zur Lösung abstrakter Probleme
----
noch eine einer Zeitarbeitsfirma selber:
Was Sie mitbringen:
Fachrichtung: Wirtschaft/Verwaltung
Berufserfahrung: Berufseinsteiger
Fähigkeit(en):
Datenschutz: Grundkenntnisse
Datenschutzrecht: Grundkenntnisse
Datenübernahme, Datenaufbereitung: Grundkenntnisse
Sprachkenntnisse: Deutsch: Verhandlungssicher
Persönliche Stärken:
Analyse- und Problemlösefähigkeit, Kommunikationsfähigkeit, Teamfähigkeit, Zuverlässigkeit
Was ist noch wichtig:
Sie haben eine juristische Ausbildung beispielsweise als Dipl. Jurist oder eine ähnliche Qualifikation wie eine notarielle Fachausbildung oder Ähnliches abgeschlossen? Sie besitzen die Bereitschaft und Fähigkeit sich in die Grundlagen des Datenschutzrechtes einzuarbeiten und haben Spaß an einer abwechslungsreichen Tätigkeit? Dann freuen wir uns auf Ihre Bewerbung.
Die anderen Ausschreibungen klingen ähnlich.
Ich bin mir recht sicher, dass die allermeinsten Langzeitarbeitslosen vielleicht das Zertifikat durch das JC erwerben könnten, aber die restlichen Anforderungen werden sie nicht im Ansatz erfüllen.
Deine Ausführungen sind sicher nicht uninteressant. Aber ich bleibe dabei. Sie dienen hier in diesem Thread eher der Darstellung deiner Person, als das sie irgendwem, der zum jetzigen Zeitpunkt eine Arbeit sucht, irgendwie weiterhelfen würden.
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Ich finde es nicht angemessen arbeitslosen Menschen zu unterstellen sie seien nicht qualifiziert. Außerdem hat dies mit dem Thema, ob H4 Armut bedeutet, nichts mehr zu tun.
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„Schifferstadt“ (Pseudonym)
Beim Datenschutzbeauftragten sollte man vielleicht noch ergänzen, dass es hier sehr hilft durchsetzungsstark zu sein und gut mit Konflikten umgehen zu können bzw. zumindest "druckresistent" zu sein, weil man gewachsene Strukturen verändern muß. Außerdem geht es im Moment noch oft darum Recht zu interpretieren, d.h. man muß selbst Lösungen erarbeiten und man sollte Spaß an genauer, detaillierter Arbeit haben. Auch EDV-Kenntnisse sind sehr hilfreich.
Die Weiterbildung dauert 3-4 Tage. Wenn ich eine Ausbildung hätte, die "vage" in diese Richtung gehen würde (irgendetwas sachbearbeitertechnisches, juristische Fachangestellte, etc.) und jetzt denken würde "Ich hätte Lust darauf", würde ich vielleicht einfach mal eine Bewerbung auf eine solche Stelle schreiben, mich vorher in die Thematik einlesen (gibt massig Material dazu im Netz) und einfach mal behaupten, dass das JC noch die Zertifizierungskosten übernimmt, wenn man einen Job findet - in der Bewerbung und im Gespräch. Wenn man die Jobzusage bekommt, ist so ein Kurs ja dann schnell gemacht und das JC hoffentlich motiviert, nochmal 1500€ auszugeben. Einfach mal testen, ob die Firmen da bereit sind Kompromisse zu machen.
@Mollibienchen Schau dir die Zahlen an, die ich vorher gepostet hatte. Die überwiegende Mehrzahl hat ein Qualifikationsproblem z.B. keine Ausbildung. Das trifft natürlich nicht auf jeden zu.
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@Hanna...was konstruierst du dir denn da zusammen?
Wenn ich eine Ausbildung hätte, die "vage" in diese Richtung gehen würde (irgendetwas sachbearbeitertechnisches, juristische Fachangestellte, etc.)
Wenn dem so ist, landest du nach heutiger Konstellation des Arbeitsmarktes nicht beim Jobcenter. Du bekommst ein Jahr Arbeitslosengeld I und findest in dieser Zeit längst einen Job. Jeder Arbeitgeber weiß das und kann anhand deiner Bewerbungsunterlagen sehen, dass du eben nicht vom Jobcenter betreut wirst und weder Maßnahmen noch Förderung bekommst...
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Um aufs Thema zurückzukommen, ob Hartz IV Armut bedeutet möachte ich mal anmerken, dass man auch das nicht pauschalisieren kann. Ich denke mal, für jemanden, der noch nie gearbeitet hat, ist auch Hartz IV keine Armut, denn der Lebensstandard ist von Anfang an darauf ausgerichtet. Es wird ja auch kein Auto, keine Monatskarte, keine Businesskleidung usw. benötigt.
Wenn man aber, so wie es bei mir war, mit Ende 50 arbreitslos wird und dann mit 60 ins ALG II fällt, ist das schon eine große Herausforderung. Ich kann natürlich nur von mir ausgehen, bei anderen mag das anders aussehen. So manche Dinge waren eben einfach da, weil sie zum Berufsleben gehören, wie z. B. eine (wenn auch kleine) 3-Zimmer-Wohnung, weil ich immer ein Homme-Office brauchte, ein Auto, weil ich immer mit dem eigenen Auto unterwegs war und vom Arbeitgeber Kilometergeld bakam. Für das Fahrzeug lief noch der Kredit, einige andere Versicherungen, die ich einfach für wichtig erachte waren auch da und kosteten Geld.
Eine Zeit lang konnte ich das alles stemmen, aber irgendwann waren die Rücklagen aufgebraucht und das Girokonto lief in die roten Zahlen. Man weiß gar nicht, wo man anfangen soll, das Auto muss bleiben, weil man ohne Auto im Vertrieb keine Arbeit findet, eine Hartz-IV-gerechte Wohnung ist nicht zu finden, bzw. nicht für die 310 € die sie kosten darf. Außerdem bin ich immer davon ausgegangen, dass ich wieder Arbeit finde und dann wieder das Auto und das kleine Büro brauche. Die Versicherungen wollte ich auch nicht kündigen, weil es ja z. B. ganz klar ist, dass es mit über 60 auch mal Zahnprobleme geben kann und ich mir dann ohne die Zahn-Zusatzversicherung nicht einmal einen ordentlichen Zahnersatz leisten könnte. Es wäre für mich undenkbar, als zahnluckerte Weckfrau rumzulaufen, auch dann nicht, wenn ich nicht mehr berufstätig bin. Einiges konnte ich glücklicherweise für eine Weile beitragsfrei stellen. Derartige Beispiele könnte ich noch ganz viele aufzählen. Wenn dann die Bank plötzlich merkt, hoppla die bekommt ja kein Gehalt mehr, sondern den Hartz-IV-Betrag, den das Landratsamt überweist, dann beginnt ein unvorstellbarer Spießrutenlauf. Man verlangt dann sofort und umgehend den Minus-Betrag des Girokontos zurück, das kann man (ich zumindest) aber nicht leisten, weil die Rücklagen ja bereits verbraucht sind. Die sagen einem dann tatsächlich, man soll sich aus dem Familien- und Freundeskreis Geld leihen und gehen auch soweit, dass sie das Geld vom Landratsamt einbehalten. In meinem Fall habe ich dann eine Schuldnerberatung eingeschaltet, die bekommt man als ALG-II-Empfänger dann bezahlt.
Ein wichtiger Hinweis vielleicht noch für alle, die in ähnlichen Situationen sind: Bei den Sparkassen kann man ein sogenanntes P-Konto (P steht für pfändungsfrei) einrichten, dann sind keine Pfändungen möglich und man kann über sein ALG-II-Geld verfügen.
Ob man das jetzt tatsächlich als Armut bezeichnet möchte ich mal gar nicht beurteilen, es ist auf jeden Fall eine extrem schwierige Situation, bei der es nur zwei Möglichkeiten gibt. Entweder man richtet sich in sein Harts-IV-Leben ein, oder man kämpft weiter und setzt alles daran, einen Arbeitsplatz zu finden. Das ist mir glücklicherweise gelungen und es läuft jetzt alles wieder ganz normal.
Trotzdem muss ich mich jetzt mit dem Gedanken beschäftigen, wie ich mir meine Rentenzeit denn einrichten möchte, denn auch die Rente fällt ziemlich mau aus...und das nach bis jetzt 48 Jahren Berufstätigkeit, unterbrochen von Kindererziehung und ein paar mal Arbeitslosigkeit. Mal sehen...wenn ich Glück habe bleibe ich gesund und kann noch eine Zeitlang was nebenher arbeiten...
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„Greven“ (Pseudonym)
@Seaangel
Sehr schön auf den Punkt gebracht, Danke dafür.
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„Itzehoe“ (Pseudonym)
Die von Seaangel beschriebenen und einige weitere Hürden lassen schwächere Personen stolpern und diese landen dann in echter Armut, Obdachlosigkeit und Verzweiflung/Resignation.
An diesem Punkt sehe ich den Sozialstaat in der Bringeschuld seine Bürger an die Hand zu nehmen und, um bei dem Bild zu bleiben, um die Hürden herum zu führen.
Warum zum Beispiel muss der Pfändungsschutz (habe ich auch vor Jahren mal gebraucht) erst beantragt werden, wenn er jedem Bürger zusteht?
Nur, welche Partei kann/muss man dafür wählen?
Ich sehe da keine, weder rechts noch Links.
Büschn ab vom Thema, ...schuldigung.
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„Rheinberg“ (Pseudonym)
Nur falls es an irgendjemandem vorbei gegangen sein sollte. Es gibt so gut wie keine FBW Maßnahmen, sondern nur AVGS Maßnahmen für JC Kunden. Somit ist Datenschutz schon mal gestorben.
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Immer diese Abkürzungen. Dass ihr mit JC das Jobcenter meint, habe ich zwischenzeitlich verstanden, aber was sind
FBW-Maßnahmen
AVGS-Maßnahmen
@Energieengel...kannst du das bitte in Klartext erklären...vielen Dank!
Ach so ja...und wo ist der Zusammenhang zum Datenschutz?